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Was ist ein Apallisches Syndrom und wodurch wird es verursacht?
Ein Apallisches Syndrom, umgangssprachlich auch Wachkoma genannt, ist eine veraltete Bezeichnung einer neurologische Erkrankung, die durch schwere Hirnschädigungen hervorgerufen wird. Im deutschsprachigen Raum verwenden Ärzte seit 2009 den Begriff Syndrom reaktionsloser Wachheit (SRW), da es zuvor aufgrund der schwierigen Differentialdiagnostik zu Missverständnissen kam.
Ursachen für das Apallische Syndrom
Die für das Apallische Syndrom ursächlichen Hirnschäden entstehen meist bei Schädel-Hirn-Traumata. Diese Traumata werden oftmals durch Unfälle verursacht. Hypoxie (Sauerstoffmangel) in Folge eines Kreislaufstillstandes beispielsweise bei einem Herzinfarkt ist eine weitere Ursache für das Apallische Syndrom.
Es kann jedoch auch von Hirntumoren, Schlaganfällen oder Hirnhautentzündungen herrühren und sowohl kurzfristig als auch dauerhaft auftreten. Darüber hinaus können degenerative Erkrankungen wie beispielsweise Alzheimer und die Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung ein Apallisches Syndrom hervorrufen.
Es kann jedoch auch mit einer zerebralen Fehlbildungen einhergehen, worauf wir in einem weiteren Artikel näher eingehen werden. Bezeichnend für diese Krankheit ist die fehlende Wahrnehmungsfähigkeit der Patienten bei gleichzeitiger Wachheit. Betroffene sind nicht in der Lage mit ihrer Umgebung zu kommunizieren.
Wie wird ein Apallisches Syndrom diagnostiziert?
Laut der Deutschen Gesellschaft für Neurologie e.V. liegt die Zahl der in Deutschland mit Apallischem Syndrom diagnostizierten Patienten zwischen 10.000 und 12.000. Dabei ist zu bedenken, dass die klare Abgrenzung von anderen Krankheitsbildern wie dem Koma sich schwierig gestaltet und es deshalb häufig zu Fehldiagnosen kommt.
Beim Koma verweilt der Patient in einem schlafähnlichen Zustand, aus dem er nicht erweckt werden kann. Abhängig von der Komatiefe reagiert er jedoch auf äußere Reize wie Schmerz. Beim Locked-in-Syndrom wiederum – in welchem der Patient wach ist – verfügt der Patient über eine vollständige Wahrnehmung und ist durch vertikale Augenbewegungen begrenzt kommunikationsfähig.
Eine Diagnose des Apallischen Syndroms erfolgt in Form von Langzeitbeobachtungen durch erfahrene Mediziner, die sich über mehrere Wochen oder sogar Monate erstrecken können. Zusätzlich erfolgen bildgebende Untersuchungen wie kernspintomographische Aufnahmen (MRT) und ein Elektroenzephalogramm (EEG) auch unter zur Hilfenahme evozierter Potentiale (Reizung der Sinnesorgane).
Hierbei ist zu unterscheiden zwischen
- einem „persistent vegetative state“
andauernder vegetativer Zustand, welcher zumindest teilweise rückbildungsfähig ist, und - einem „permanent vegetative state“
ständiger vegetativer Zustand, bei dem von einer dauerhaften Schädigung auszugehen ist.
Dennoch liegt die Quote von Fehldiagnosen laut einer britischen Studie („Misdiagnosis of the vegetative state: retrospective study in a rehabilitation unit„, erschienen im British Medical Journal Ausgabe 313) bei 43%. Die hängt mit der bereits erwähnten schwierigen Abgrenzung zu anderen Nervenkrankheiten zusammen. Dies ist nur einem erfahrenen Mediziner möglich.
Maßgebend für die Diagnostik sind die 1994 von der Multi-Society-Task-Force on PVS festgelegten eindeutigen Symptome des Apallischen Syndroms.
Welche Symptome zeigt ein Apalliker?
Der Begriff „Apallisches Syndrom“ fand erstmals 1940 durch den deutschen Psychiater Ernst Kretschmer Erwähnung. Die Erkrankung zeichnet sich durch einen Komplettausfall der Großhirnfunktionen bei gleichzeitigem Erhalt des Rückenmarks, Zwischenhirns und Hirnstamms aus.
Bei Apallikern fehlt jeglicher Hinweis auf ein bewusstes Wahrnehmen ihrer Umwelt was sich darin bemerkbar macht, dass Apalliker weder auf
- Schmerzhafte Reize,
- visuelle Reize oder
- akustische Reize noch auf
- Berührungen
reagieren.
Körperfunktionen
Zwar besteht ein Schlaf-Wachzyklus, dieser ist jedoch häufig gestört. Apalliker sind nicht in der Lage in irgendeiner Form zu interagieren, Augenkontakt herzustellen oder Gegenstände mit ihrem Blick zu fixieren obwohl die Augen in der Wachphase geöffnet sind. Hinzu kommt eine Aphasie (Verlust von Sprachverständnis und Sprechfähigkeit) und eine Harnblasen– beziehungsweise Darminkontinenz.
Da der Hirnstamm und der Hypothalamus vom apallischen Syndrom meist nicht oder nur teils betroffen sind, ist der Patient in der Lage seine vegetativen Körperfunktionen wie die Atmung, den Kreislauf und die Regulierung der Körpertemperatur nach der Akutphase selbstständig aufrechtzuerhalten, was in Kombination mit einer medizinischen und pflegerischen Betreuung das Überleben des Patienten sichert.
Primitive Reflexe
Zwar ist es bei manchen Apallikern möglich primitive Reflexe wie Kopf- und Augenbewegungen oder das Greifen durch äußere Stimulierung auszulösen, jedoch spricht dies nicht für eine aktive Wahrnehmung. So ist es auch möglich dass die Betroffenen gelegentlich mit Körperbewegungen und Mimik auf externe Einflüsse reagieren.
Hinzu kommen gelegentlich auch orale Geräusche wie ein Schmatzen oder Zähneknirschen. Diese natürlichen und niederen Reflexe werden von Angehörigen oftmals mit einer bewussten Reaktion des Apallikers verwechselt. Die führt teils zu aufkeimender Hoffnung auf eine Besserung und Zweifel an dem behandelnden Mediziner.
Fehlende Wahrnehmung
Zwar lässt sich die fehlende Wahrnehmung eines mit apallischem Syndrom diagnostiziert Patienten bis heute nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten nicht beweisen, jedoch ist diese Annahme der Mediziner durchaus begründet und lässt sich in bildgebenden Verfahren wie einer Magnetresonanztomographie (MRT) anhand der Nervenschäden nachweisen.
Kommunikation mit Apallikern
Dennoch berichten immer mehr Forscher in den letzten Jahren von Kommunikationsmöglichkeiten mit ihren Patienten. Dies führte dazu dass eine nonverbale Kommunikation mit Langzeitapallikern (Dauer des Wachkomas länger als 18 Monate) nachgewiesen werden konnte.
Britische Studien („Detecting Awareness in the Vegetative State“, erschienen im Fachjournal Science Ausgabe 313) hierzu konnten belegen dass manche Patienten mit Apallischem Syndrom über ein Bewusstsein für sich selbst und ihre Umgebung verfügen, was nicht nur gegen eine nicht vorhandene Wahrnehmung spricht sondern auch die Lebensqualität der Patienten überdenken lässt.
Wie wird ein Apallisches Syndrom behandelt?
Phase A: Akutbehandlung des Apallischen Syndroms
Die Behandlung teilt sich in mehrere Abschnitte, genannt Phasen, auf. Im ersten Abschnitt (Phase A) steht die Akutbehandlung im Mittelpunkt.
Diese Phase dient der Sicherung der Lebensfunktionen durch Tracheotomie (Luftröhrenschnitt), legen einer perkutanen endoskopischen Gastrostomie (PEG, Zugang durch die Bauchdecke zum Einführen von Sonden zur künstlichen Ernährung) und gegebenenfalls eines suprapubischen Dauerkatheter (SDK, zum Urinabfluss durch einen Zugang in der Bauchdecke).
Diese Maßnahmen dienen der Gewährleistung einer optimalen pflegerischen Versorgung. Bereits in dieser Phase wird mit der Physiotherapie begonnen um Folgeerkrankungen wie eine Lungenentzündung zu vermeiden und die Schluckfunktion zu fördern, was entscheidenden Einfluss darauf hat ob nach der maschinellen Beatmung die Trachealkanüle (Zugang im Luftröhrenschnitt) entfernt werden kann.
Phase B: Therapieangebote für Apalliker
Nach der Akutversorgung des Patienten beginnt Phase B der Behandlung. Hierbei wird das Therapieangebot um Behandlungsmethoden erweitert die der Verbesserung geistiger, psychischer und motorischer Fähigkeiten dienen. Dies kann beispielsweise in Form von Ergo- und Musiktherapie erfolgen.
In dieser zweiten Phase, die zwischen einem Monat und einem Jahr andauert, wird die Prognose für eine eventuelle Heilung des Apalliker gestellt. Kommt es zu einer merklichen Verbesserung physischer und psychischer Leistungen, so können weitere Phasen der Rehabilitation (Phasen C/D/E) in die Behandlung integriert werden. Bleibt der Patient jedoch bewusstlos, wird zur Phase F („Aktivierende Behandlungspflege“) übergegangen.
Wie hoch sind die Heilungschancen bei einem Apallischen Syndrom?
Das Apallische Syndrom folgt oftmals auf ein vorangegangenes Koma. Um eine mögliche Wiederherstellung zu prognostizieren müssen äußere Umstände wie die Ursachen der Erkrankung als auch das Alter des Apallikers und die Dauer des Zustandes berücksichtigt werden. Inwieweit von einer Heilung die Rede sein kann hängt stark vom Ausmaß der körperlichen und geistigen Schädigung ab. In den seltensten Fällen ist eine vollständige Erholung möglich.
Grundsätzlich ist die Wahrscheinlichkeit auf Heilung größer wenn die Ursache des Apallischen Syndroms eine äußere Verletzung anstatt einer Erkrankung ist.
Experten sind sich einig dass zwölf Monate nach einer durch eine Verletzung verursachten Erkrankung und drei Monate nach einem krankheitsbedingten Apallischen Syndrom eine Wiederherstellung nahezu ausgeschlossen ist. Dies gilt sowohl für Erwachsene als auch für Kinder.

Besonders die Nähe und Fürsorge Angehöriger unterstützen den Patienten auf seinem Weg aus dem Apallischen Syndrom. (#2)
Wie kann man die Genesung von Apallikern unterstützen?
Eine mögliche Genesung kann durch sogenannte basale Stimulation gefördert werden. Hierunter versteht man die Interaktion mit dem Apalliker beispielsweise in Form von manueller Bewegung der Gliedmaße, Gespräche insbesondere mit vertrauten Personen, akustische Stimulation durch Musik und einen festen Tagesrhythmus.
Auch die Integration des Patienten in den Familienalltag kann positive Auswirkungen haben. Jedoch sollte hierbei in jedem Fall der tagesaktuelle Zustand des Apallikers berücksichtigt werden um eine drohende Überforderung zu vermeiden.
Die aufgrund der erwähnten Kriterien wie Alter, Dauer des Apallischen Syndroms und eventuelle Grunderkrankungen gestellte Prognose auf Heilung bestimmt auch den Behandlungsverlauf. Ist eine Rückbildung der Erkrankung mit einer für den Patienten akzeptablen Lebensqualität wahrscheinlich so erfolgt eine intensivmedizinische Betreuung des Apallikers im vollen Umfang bis zu seiner Genesung.
Sollte jedoch die Prognose ungünstig ausfallen so wird in Absprache mit den Angehörigen auf intensivmedizinische Maßnahmen wie beispielsweise eine Beatmung oder die Reanimation des Patienten verzichtet, sprich die Behandlung wird auf pflegerische Maßnahmen sowie Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr beschränkt.
Das Apallische Syndrom aus ethischen Gesichtspunkten
Betrachtet man die Tatsache, dass ein Patient mit Apallischem Syndrom womöglich Monate oder sogar Jahre überlebt, stellt dies die behandelnden Mediziner und Angehörigen vor schwierige ethische, ökonomische und soziale Fragen.
Unabhängig davon ob der Patient in einer Langzeitpflegeeinrichtung untergebracht ist oder wie in 70% der Fälle in Deutschland von Familienmitgliedern betreut wird, stellt der wahrnehmungs- und kommunikationsfreie Zustand der Apalliker eine enorme psychische Belastung für alle Beteiligten dar.
Insbesondere unter dem Aspekt dass der Patient bei guter Pflege und einem stabilen Allgemeinzustand auch ohne Heilungsaussichten durchaus bis zu fünf Jahre weiterleben kann, ohne dass er seine eigene Verfassung als leidend empfindet.
Sterbehilfe für Apalliker?
In solchen Fällen suchen Ärzte oftmals das Gespräch mit den Angehörigen um sich auf eine Grundversorgung der Apalliker ohne lebenserhaltende Maßnahmen zu einigen und dem Patienten unter Berücksichtigung der in Deutschland herrschenden Sterbehilfe-Richtlinien den Abschied zu erleichtern.
Insbesondere die Aussicht auf ein nicht selbstbestimmtes Leben im Apallischen Syndrom lässt immer wieder die Diskussionen deutscher Ärztekammern und Politiker bezüglich aktiver Sterbehilfe aufkeimen. Diese ist nach deutschem Recht nach wie vor aufgrund der Gräueltaten des Dritten Reichs strafbar.
Hilfe für Angehörige
Die Erkrankung, Betreuung und Pflege eines geliebten Menschen stellt Angehörige vor eine große Herausforderung. In solchen Fällen hilft es oft über das Erlebte, die Sorgen und Ängste zu sprechen, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen.
Bundesverband Schädel-Hirnpatienten in Not e.V.
Der Bundesverband Schädel-Hirnpatienten in Not e.V. stellt aus eben diesem Grund auf seiner Website eine Liste bundesweiter Selbsthilfegruppen zur Verfügung (https://www.schaedel-hirnpatienten.de/selbsthilfegruppen.html) und bietet zusätzlich eine Notruf- und Beratungszentrale (0 96 21/6 48 00) an.
SelbstHilfeVerband – Forum Gehirn e.V.
Auch der SelbstHilfeVerband – Forum Gehirn e.V. (http://www.shv-forum-gehirn.de/shvfg/) unterstützt Betroffene und ihre Angehörigen, sei es bei der richtigen Pflege oder der Beanspruchung der Ihnen zustehenden Hilfsmittel.
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