Wachkoma ist der umgangssprachliche Ausdruck für eine neurologische Erkrankung namens Syndrom reaktionsloser Wachheit (SRW).
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Welche Ursachen hat ein Wachkoma bei Kindern?
Es entsteht durch gravierende Hirnschädigungen die bei Wachkoma-Kindern, wie auch bei Erwachsenen Patienten, meist durch einen schweren Unfall mit Schädel-Hirn-Trauma, oder aber auch durch eine Hypoxie (Sauerstoffmangel im Gehirn) nach einer drohenden Ertrinkung verursacht werden.
Weitere Ursachen sind beispielsweise
- Hirntumore
- Schlaganfälle
- Hirnhautentzündungen
- zerebrale Fehlbildungen
Im Fall eines Wachkomas besteht ein Verlust der Großhirnfunktionen, während Rückenmark, Zwischenhirn und Hirnstamm weitestgehend weiterarbeiten. Äußerlich betrachtet fehlt bei Wachkoma Kindern jeglicher Hinweis auf ein bewusstes Wahrnehmen ihrer Umwelt.
Dies macht sich dadurch bemerkbar, dass sie nicht auf…
- Schmerzhafte Reize
- visuelle Reize
- akustische Reize oder
- Berührungen
reagieren.
Körperfunktionen
Zwar besteht bei Wachkoma Kindern ein Schlaf-Wachzyklus, dieser ist jedoch meist gestört. Den Kindern ist es nicht möglich in irgendeiner Form zu interagieren. Auch können sie – obwohl die Augen in der Wachphase geöffnet sind – keinen Augenkontakt herstellen oder Gegenstände mit ihrem Blick fixieren.
Hinzu kommt der vollständige Verlust der Sprechfähigkeit und des Sprachverständnisses, Aphasie genannt. Darüber hinaus besteht in der Regel eine Harnblasen- und Darminkontinenz. Jedoch sind Wachkoma Kinder normalerweise nach der Akutphase in der Lage ihre vegetativen Körperfunktionen selbst zu steuern.
Sprich, sie können selbstständig ihre Körpertemperatur regulieren, ihren Kreislauf aufrechterhalten und atmen. Dies hängt mit der fortbestehenden Funktionalität des Hirnstamms und des Hypothalamus zusammen. Es trägt zu der Möglichkeit bei, dass Eltern ihre Kinder nach der Akutphase zu Hause weiter betreuen.
Primitive Reflexe
Zwar sind manche Wachkoma Kinder zu primitive Reflexen wie Kopf- und Augenbewegungen oder dem Zugreifen nach äußerer Stimulierung in der Lage, jedoch spricht dies nicht für eine aktive Wahrnehmung. So ist es auch möglich, dass die Betroffenen gelegentlich mit Körperbewegungen und Mimik auf externe Einflüsse reagieren.
Auch orale Geräusche wie beispielsweise ein Schmatzen oder Zähneknirschen sind kein Indiz für eine Besserung. Von Angehörigen der Wachkoma Kinder werden diese natürlichen und niederen Reflexe oftmals mit einer bewussten Reaktion verwechselt. Dies weckt in vielen Fällen unberechtigte Hoffnungen auf Besserung.
Fehlende Wahrnehmung
Zwar lässt sich nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten die fehlende Wahrnehmung eines Wachkoma-Kindes nicht einwandfrei beweisen, jedoch ist diese Annahme der Mediziner durchaus begründet und lässt sich in bildgebenden Verfahren wie einer Magnetresonanztomographie (MRT) anhand der Nervenschäden nachweisen. Auch wenn es in den letzten Jahren immer wieder Belege für eine begrenzte Möglichkeit der Wahrnehmung gab.
Wachkoma bei Kindern ist keine seltene Diagnose. Alleine in Deutschland haben sich etwa ein Dutzend Krankenhäuser und Kliniken auf die Behandlung von Wachkoma Kindern spezialisiert. Täglich stürzen Kinder und schlagen sich dabei den Kopf an oder drohen durch unglückliche
Umstände nahezu zu ertrinken.
Während starke Erschütterungen Nervenbahnen im Gehirn zerreißen können, droht bei einer zu geringen Sauerstoffversorgung das Absterben der Zellen. Sind die Schäden zu stark, schwillt das Gehirn an und schaltet zum Selbstschutz vorläufig weite Teile der Funktionen ab. Gehirnschäden sind permanent. Das Hirn ist nicht in Lage Zellen neu wachsen zu lassen oder Nervenbahnen wieder zu verknüpfen.
Therapiemöglichkeiten für Wachkoma-Kinder
Früher wurden Wachkoma-Kinder lediglich pflegerisch versorgt und regelmäßig mittels Schmerzreizen überprüft, ob das Wachkoma-Kind zu Bewusstsein gelangte. Im Gegensatz dazu gibt es heute ein weitgefasstes Spektrum an Behandlungsmöglichkeiten, wie beispielsweise
- Ergotherapie
- Logopädie
- Physiotherapie
- Musiktherapie
- Bewegungsbad
- Klettertherapie
Hierbei gilt, je schneller mit der Frührehabilitation begonnen wird, umso größer sind die Heilungschancen.
Um die Fortschritte während des Heilungsverfahrens zu erfassen, gibt es verschiedene Dokumentationssysteme. Zwei davon sind die Glasgow-Koma-Skala und das Remissionsprofil.
Glasgow-Koma-Skala
Die Glasgow-Koma-Skala ist ein international anerkanntes Skalen- und Scoresystem zur Erfassung des Bewusstseinsgrades nach Schädel-Hirn-Verletzungen bei Kindern. In diesem System werden verschiedene Punkte für die Funktionen
- Augenöffnung
- verbale Kommunikation
- motorische Reaktion
vergeben und anschließend addiert.
Die höchstmögliche Punktzahl au der Glasgow-Koma-Skala liegt bei 15, was für ein volles Bewusstsein steht. Im Minimalfall werden drei Punkte erreicht die einem tiefen Koma entsprechen. Die Glasgow-Koma-Skala ist ein weit verbreitetes Verfahren, um die Schwere und den Verlauf des Wachkomas zu erfassen.
Jedoch gilt sie als weniger genau als das Remissionsprofil, da in diesem mehr Aspekte berücksichtigt werden. Da Kinder unter drei Jahren nicht über verbale Kommunikationsfähigkeiten verfügen gibt es für sie eine separate Version namens pädiatrische Glasgow-Koma-Skala. Diese modifizierte Variante beinhaltet entsprechend andere Voraussetzung hinsichtlich der verbalen Kommunikation.
Remissionsprofil (RemiPro)
Das von Melanie Hessenauer und Ellen Romein entwickelte Dokumentationssystem RemiPro (Remissionsprofil) für Wachkoma Kinder zwischen zwei und 18 Jahren hat sich als bewährte Komponente der Ergotherapie erwiesen.
Es findet immer mehr Anklang im deutschsprachigen Raum. Während früher das Hauptaugenmerk darauf lag, was das Wachkoma-Kind nicht kann, liegt bei RemiPro das Hauptaugenmerk auf den wieder erlernten Fähigkeiten. RemiPro beobachtet nicht nur die Entwicklung der Wachkoma-Kinder, sondern vergleicht und katalogisiert den Prozess auch.
So lassen sich die Fortschritte der Wachkoma-Kinder in sechs Kategorien einordnen:
- Schlaf-Wachniveau, das Wachkoma-Kind zeigt keine Reaktion
- Wahrnehmungsniveau, das Kind gewinnt seine Mimik zurück und wendet sich aktiv Menschen zu
- Kommunikationsniveau, das Kind beginnt einfache Handlungen auszuführen
- Eigenständigkeitsniveau, es ist zu grundlegenden Fähigkeiten wie dem Sprechen in der Lage
- Gruppenniveau, das Wachkoma-Kind kann wieder mit anderen Menschen interagieren
- Partizipationsniveau, das Kind ist zu denselben Alltagsaktivitäten wie gesunde Gleichaltrige in der Lage
Die Arbeit mit diesem Dokumentationssystem erfordert eine fundierte Schulung, um klar zu unterscheiden was eine Fähigkeit und was reine Willkür ist. Um den Prozess zu unterstützen, kann es auch hilfreich sein, wenn Eltern ein Tagebuch bezüglich ihrer Beobachtungen führen da sie oft die meiste Zeit mit den Wachkoma-Kindern verbringen.
Dabei hat es sich als vorteilhaft erwiesen, wenn liebgewonnene Beschäftigungen aus der Zeit vor der Erkrankung in die Behandlung des Wachkoma-Kindes integriert werden.
Sei es möglicherweise
- das Vorlesen des Lieblingsbuchs
- gemeinsames Hören geschätzter Musik
- spielen mit den eigenen Stofftieren
Trotz all dieser Therapieoptionen sollte bedacht werden, dass die Regenerationsmöglichkeiten des Gehirns begrenzt sind. Man geht davon aus, dass Schäden die sich nicht im ersten Jahr regulieren es auch später nicht tun.
Wie gestaltet sich der Alltag mit Wachkoma Kindern?
Für viele Eltern ist es eine enorme Erleichterung, wenn das Wachkoma-Kind nach der Akutphase die Intensivstation verlassen können. In einer Neuropädiatrie (umgangssprachlich Kinderneurologie genannt) haben die Eltern erstmals wieder die Möglichkeit ihr Kind in den Arm zu nehmen oder sich zu ihm ins Bett zu legen, um ihm zu zeigen, dass sie sich kümmern. Oftmals keimt in den Eltern eine Hoffnung auf, sobald das Kind vom Koma ins Wachkoma übergeht. Wogegen Ärzte sich bedeckt halten, um keine Erwartungen zu wecken.
Sollte sich der Zustand des Wachkoma-Kindes über mehrere Wochen nicht ändern, so wird eine Entlassung vorzubereiten. Die meisten Wachkoma Kinder werden auf Wunsch der Eltern in Zusammenarbeit mit einem ambulanten Pflegedienst zu Hause betreut. Dies stellt die Familien vor ganz neue Herausforderungen.
In vielen Fällen muss das Haus umgebaut oder gar eine neue Wohnung gefunden werden. Zusätzlich müssen Hilfsmittel organisiert werden, die es der Familie und den Pflegekräften ermöglichen das Kind optimal zu betreuen. Darüber hinaus gibt oftmals ein Elternteil den Arbeitsplatz auf um sich 24 Stunden am Tag der Betreuung des Wachkoma-Kindes widmen zu können.
Im Verlauf des Heilungsprozesses ist es durchaus möglich das Kind in einen speziell dafür vorgesehenen Rollstuhl zu setzen. Dies erleichtert es das Wachkoma-Kind in den Alltag zu integrieren. Es kann seine Zeit draußen mit anderen Kindern verbringen und zu den Mahlzeiten mit der Familie am Esstisch sitzen.
Dies ist auch förderlich in Fällen in denen Wachkoma-Kinder keine signifikanten Fortschritte machen. Eine reine Bettlägerigkeit schwächt das Immunsystem wodurch Patienten anfälliger für Krankheiten wie eine Lungenentzündung werden. Diese können im schlimmsten Fall einen tödlichen Verlauf nehmen.
Inwieweit unterscheiden sich Wachkoma Kinder von Erwachsenen Patienten?
Bei Wachkoma-Patienten müssen die Hirnströme neue Wege finden, um die beschädigten Areale zu umgehen und die Zellen miteinander zu verbinden. Da kindliche Gehirne noch unausgereift sind, fällt es ihnen leichter diese Verbindungen neu zu knüpfen.
Vieles wurde noch nicht erlernt und kann dementsprechend auf einen anderen, zuvor nicht dafür vorgesehenen Platz im Gehirn ausweichen. Dadurch verläuft die Regeneration von Wachkoma-Kindern oftmals schneller als die Erwachsener.
Das Wachkoma bei Kindern aus ethischer Sicht
Im Gegensatz zu früheren Annahmen der absoluten Bewusstlosigkeit konnten Wissenschaftler in jüngster Zeit Belege dafür aufweisen, dass eine nonverbale Kommunikation mit Wachkoma-Kindern durchaus möglich ist. Dies wird insbesondere in der britischen Studie „Detecting Awareness in the Vegetative State“, erschienen im Fachjournal Science Ausgabe 313 belegt. Ausgehend davon kann nicht mehr länger von einer nicht vorhandenen Wahrnehmung die Rede sein.
Jegliche Art von Kommunikation setzt eine bewusste Wahrnehmung voraus. Auch berichten aus dem Wachkoma erwachte Patienten immer wieder in einer Art und Weise von ihren während dieser Zeit empfundenen Eindrücken, dass davon auszugehen, dass einige Wachkoma-Patienten durchaus ihre Umgebung bis zu einem gewissen Grad wahrnehmen. Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob es für Eltern vertretbar ist diesen Zustand womöglich über Jahre hinweg aufrechtzuerhalten. Insbesondere in Fällen in denen keine Besserung in Sicht ist.
Dies beinhaltet auch die Frage, ob es für die Angehörigen aus psychologischer, sozialer und ökonomischer Sicht zumutbar ist. Deshalb suchen Mediziner in Fällen in denen keine Regeneration in Aussicht ist oftmals das Gespräch mit den Eltern um, sich auf eine Grundversorgung des Wachkoma-Kindes ohne lebenserhaltende Maßnahmen zu einigen. Diese Grundversorgung beinhaltet eine Zufuhr von Nahrung und Flüssigkeit.
Hilfe für Angehörige von Wachkoma Kindern
Nach einer solchen Diagnose sitzt der Schock tief. Eltern fühlen sich meist hilflos angesichts der neuen Herausforderung. Es gibt Organisationen die sich darauf spezialisiert haben Eltern und Wachkoma-Kindern beizustehen.
Lumia Stiftung
Die Lumia Stiftung hat es sich zur Aufgabe gemacht Betroffenen bei sämtlichen Wegabschnitten beizustehen. Weitere Informationen finden Sie unter www.lumiastiftung.de
Bundesverband Schädel-Hirnpatienten in Not e.V.
Auch der Bundesverband Schädel-Hirnpatienten in Not e.V. steht Patienten und Angehörigen mit Rat und Tat zur Seite. Auf der Website des Bundesverbandes (www.schaedel-hirnpatienten.de) finden sie beispielsweise Kontaktdaten bundesweiter Selbsthilfegruppen. Darüber hinaus bietet die Organisation zusätzlich eine Notruf- und Beratungszentrale (0 96 21/6 48 00) an.
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